The following article appeared in an October 20067 issue of Die Welt...
Jetzt hat auch Sting die Lieder von John Dowland aus der Shakespeare-Zeit eingespielt. Dessen ergreifende und ausschweifende Melodien übertrumpfte damals kein anderer Künstler. Eine Reise rückwärts in ein goldenes Zeitalter mit Trauerrand.
Es war einmal ein Musiker, der reiste länger in Europa herum, als er zu Hause war. Er wurde gefeiert, wo immer er hin kam und auftrat. Er wurde mit Geschenken überhäuft. Er war ein Wunder auf seinem Instrument. Er war so etwas wie ein Pop-Star. Er wurde an Höfen, an denen er arbeitete, besser bezahlt als Staatsminister. Er war ein Marketinggenie.
Seine Alben lagen beinahe in jedem höheren Haushalt. Er tänzelte trotzdem immer am Rande der Pleite, gab mehr Geld aus, als er hatte. Er wurde eines europäischen Hofes verwiesen wegen ungehörigen Betragens. Er begründete eine neue Kunst, mit den Wurzeln in der Heimat, mit der Kunstfertigkeit in Italien. Er bewegte sich auf einer Bruchstelle der europäischen Zivilisationsgeschichte, und der Riss ging mitten durch ihn durch.
Wer jetzt an Mozart dachte, lag zwar insofern nicht ganz falsch, als das meiste auch auf ihn zutrifft. Wir müssen aber noch zweihundert Jahre in der Musikgeschichte rückwärts gehen und nach England, um bei John Dowland zu landen.
Gelegenheiten, sich mit dem um 1562 geborenen Shakespeare-Zeitgenossen zu beschäftigen, hat es in den vergangenen Jahren nicht eben wenige gegeben. Elvis Costello hat Dowland gesungen (in einer Neuauflage der "Juliet Letters"). Philip K. Dick, der Science-fiction-Schriftsteller (dessen Pseudonym nicht zufällig Jack Dowland ist), hat ihn wie einen roten Faden in seine Romane eingebaut.
Deutschlands Lieblings-Countertenor hat ein Dowlandsches "Musical banquet" mit dem bosnischen Über-Lautenisten Edin Karamazov aufgenommen. Zur Propagierung des 400 Jahre alten, erzmelancholischen Liedguts tat sich sogar eine Gruppe von Jazz-Musikern um den Saxophonisten John Surman zusammen und spielten sich für ECM frei durch die tränenreichen Lautensongs des elisabethanischen Superstars. Und in Richard Powers Sänger-Bestseller-Roman "Der Klang der Zeit" hört man die Hauptfigur zum ersten Mal, wenn sie am Klavier steht und Dowland singt.
Letzteres hat immerhin eine Neugier geweckt, die durch das Powers-Hörbuch wenigstens ein bisschen befriedigt wurde. Dem Altmeister jetzt aber endlich jene Aufmerksamkeit zu verschaffen und das Publikum, das ihm zusteht, ist das Ziel eines popkulturellen Generalangriffs auf die umfangreichen wei?en Dowland-Flecken im europäischen Musikbewusstsein, den Sting, ein verspäteter Nachfahre Dowlands als Singer/Songwriter jetzt mit Edin Karamazov unternimmt.
Am Ende einer längeren Inkubationszeit mit den Liedern und Lautenwerken des 1626 in London gestorbenen Dowland hat der ehemalige Frontman, Bassist und Kopf von "Police" so etwas wie einen Soundtrack von Dowlands Leben zusammengestellt.
Karamazov und Sting singen die Hits des alten Briten, die zu dessen Zeit die halbe Welt kannte - von "In Darkness let me dwell" über "Fine knacks for ladies" bis "Flow my tears". Sie lassen Galliarden hüpfen, und Sting liest aus einem äu?erst decouvrierenden Brief Dowlands an Sir Robert Cecil, den Secretary of State am Hof Elizabeth I.
Sting dreht und wendet seine Stimme und Dowlands Vokale, treibt es mit seinem Kunstwollen manchmal arg weit. Hält sich aber mit Modernisierung dezent zurück. Und gerade angesichts dessen, was unterwegs alles hätte passieren können, gelingt sie doch: Die Reise rückwärts in ein goldenes Zeitalter mit Trauerrand.
Ein Zeitalter, in dem die Individualisierung der gerade noch mittelalterlichen Gesellschaft seine erste Hochblüte erreicht hatte, soziale, religiöse Selbstverständlichkeiten bröckelten, die Pest umging, die Menschen melancholisch wurden. Und John Dowland, ein klassischer Borderliner mit übergro?em Talent und ultrakleinem Selbstvertrauen, der sich selbst regelmä?ig am Rand einer klinischen Depression befand, lieferte ihnen mit seinen vier "Bookes of songes" die musikalische Auspolsterung ihrer Seelen.
Damit, mit Melodien, die beweglicher, ergreifender, ausschweifender waren, als alles, was in jener Zeit in Italien zu Papier gebracht wurde, mit erdverbundenen, aber harmonisch aufregenden Tonsätzen wurde er zum eigentlich ersten wirklich erfolgreichen musikalischen Export Englands.
Und er lebte vor, was Mozart 200 Jahre später möglicherweise erspart blieb, dadurch, dass er die Vierzig gar nicht erst erreichte. Als Dowland endlich seine Stelle bei Hofe (inzwischen war Elizabeth tot und Jakob I. auf dem Thron) antreten konnte, war er um die Fünfzig, hatte sich aufgerieben an seiner Zeit, an seinen Landsleuten, am Hof. Die Flamme seiner Inspiration war erloschen.
© Die Welt by Elmar Krekeler